Die Zukunft der Produktentwicklung bei Decathlon – KI als Planungspartner
- Der französische Sportartikelhersteller Decathlon möchte von 2016 bis 2026 die CO2-Emissionen der verkauften Produkte in allen Geschäftsbereichen um 40 % zu reduzieren. Allein durch das Design sollen 20 % eingespart werden.
- Voraussetzungen dafür sind Künstliche Intelligenz und die Nachhaltigkeit in der künftigen Produktentwicklung
- Auch die Mitarbeitenden müssen auf den Weg in die Zukunft der Produktentwicklung mitgenommen werden: Designer bei Decathlon zum Beispiel müssen an globalen Problemen arbeiten und in der Lage sein, ein großes Spektrum an Technologien unterschiedlicher Komplexität souverän zu nutzen
Mit rund 130 Millionen weltweit produzierten Fahrrädern pro Jahr – das sind 2,5-mal mehr als Autos – zählt das Zweirad heute zu den beliebtesten Verkehrsmitteln. Seit der Erfindung des Laufrades im Jahr 1817 durch den Freiherrn von Drais wurde das Zweirad ständig weiterentwickelt, um mit den gesellschaftlichen Veränderungen wie dem Aufschwung der Freizeitgesellschaft, der Emanzipation der Frau, der Entlastung der Innenstädte, der sanften Mobilität und dem ökologischen Wandel heutzutage Schritt zu halten. Dieser Dynamik trägt auch das neue Konzept von Decathlon Rechnung. Der französische Sportartikelhersteller hat seinen Produktdesignprozess mit Fokus auf der zukünftigen Produktentwicklung und der Nachhaltigkeit umgestellt. Neuer Entwicklungspartner ist die Künstliche Intelligenz.
Der Decathlon-Konzern begann sein Abenteuer im Sommer 1976 auf einem Parkplatz des Einkaufszentrums Englos bei Lille. Sieben Sportfreunde und Unternehmer aus Leidenschaft stellten sich das Ziel, für jede Sportart, vom Einsteiger bis zum Profi, Ausrüstungen zu Bestpreisen anzubieten. Das Unternehmen startete mit zehn Sportarten und dem Anspruch, das Sporterlebnis mit möglichst vielen Menschen zu teilen.
Aufgrund eines Lieferproblems mit dem Fahrradvertriebshändler änderte der Konzern zehn Jahre später seine Strategie. Seitdem entwickelt und vertreibt Decathlon Sportartikel unter eigenem Namen. Die Eigenmarke ist heute in 57 Ländern mit Ausrüstungen für fast 90 Sportarten vertreten. Ihr Wachstum stützt sich auf drei Säulen – Leistungsstärke, Preis und Nachhaltigkeit.
Digitalisierung als Beitrag zum Ökodesign
Die Marke expandierte mit neuen Disziplinen und Technologien, verschrieb sich dem Prinzip ständiger Erneuerung und entwickelte dabei die kreativen Prozesse kontinuierlich weiter. Der Konzern verpflichtete sich, von 2016 bis 2026 die CO2-Emissionen der verkauften Produkte in allen Geschäftsbereichen um 40 % zu reduzieren. Allein durch das Design sollen 20 % eingespart werden. Das Entwicklerteam setzt bei der kontinuierlichen Innovation und der Einhaltung der Klimaziele auf Generatives Design und die ständige Verbesserung des Produktentwicklungsprozesses in allen Phasen von der Ideenfindung bis zur Produktion.
Das Projekt unter Leitung von Cyrille Ancely, Digital Design Skills Leader, und Adrien Lagneau, Head of Digital Chain von Decathlon Frankreich, umfasst auch den grundlegenden Wandel des Markengestaltungsprozesses und der Wertschöpfungskette. „Es muss nicht nur anderes Material verwendet werden, sondern auch die Methode des Entwerfens ändert sich“, sagt Ancely. „Deshalb haben wir alle Prozesse so umgestaltet, dass sich die CO2-Bilanz unserer Produkte im Vergleich zum Vorgängermodell um mindestens 10 % verbessert.“
Die Entwicklerteams von heute möchten Umweltfaktoren bereits in der Entwurfsphase durch den Einsatz neuer Technologien einbeziehen. Die Umweltbelastung ist so schon im Voraus messbar. Durch die verkürzte Produktentwicklungsphase lässt sich die Leistung optimieren. Die größte Neuerung ist das „Ecodesign“. Es wird die Arbeitsweise unserer Designer verändern und effizienter gestalten, betont Ancely.
Designkompetenz im Wandel
Die erste Phase der Digitalisierung umfasste die Einarbeitung der Mitarbeitenden und die Koordinierung der Maßnahmen. Für diese Phase war ein ganzes Jahr vorgesehen, weil jedes Team einen anderen technologischen Entwicklungsstand hat und unterschiedlich schnell vorankommt.
Zur Prozessoptimierung haben die Projektteams außerdem ein CAD-Tool als Arbeitsinstrument eingesetzt. Decathlon wollte untersuchen, wie sich Generatives Design bereits in der Entwurfsphase zur Verbesserung der CO2-Bilanz von Milliarden produzierter Sportartikel pro Jahr anwenden lässt.
Bei der „digitalen Ausbildung“, konnten Ancely und Lagneau auf die fachliche Unterstützung durch Ingenieure und Spezialisten von Autodesk France zählen, die ihren Teams das Generative Design vorstellten.
„Unsere Zusammenarbeit mit dem Softwarehersteller war zunächst technischer Natur, da uns Generatives Design kaum bekannt war“, so der Projektleiter des Decathlon Advanced Design Teams, Charles Cambianica. „Durch das Projekt haben wir verstanden, dass diese Technologie kein zusätzliches Werkzeug ist, sondern eine neue Art, Produkte zu konzipieren und zu gestalten. Autodesk zeigt uns neue Möglichkeiten bei der Produktentwicklung der Zukunft. Wir wollten lernen, wie wir damit arbeiten und unseren Tätigkeitsbereich in einer Welt im Wandel gestalten können. Die Einblicke in ganz unterschiedliche Branchen, die Autodesk vermittelt, haben uns bei der Entwicklung neuer Ideen sehr geholfen.“
Künstliche Intelligenz revolutioniert das Design
In diesem Geschäftsjahr hat sich das Decathlon-Designteam aus gutem Grund für das Rennrad als Testobjekt entschieden. Nach 200 Jahren Erneuerung hat sich der technische Fortschritt beim Fahrrad als „historisches“ Produkt aus Sicht der Sportartikelmarke deutlich verlangsamt.
„Obwohl Carbon sehr leicht ist, befindet sich das Carbonrad in einer ökologischen Sackgasse“, sagt Cambianica. „Carbonräder lassen sich weder individuell für einen Kunden produzieren noch haben wir eine Lösung für das Recycling. Dadurch verschlechtert sich seine Ökobilanz erheblich. Hinzu kommen die langen Transportwege von einem zentralen Produktionsstandort.“
Aufgabe des Projekts war es, mithilfe der Software Fusion 360 ein Fahrrad so leicht wie Kohlefaser aber auf Aluminiumbasis herzustellen und gleichzeitig die Markenästhetik zu erhalten. „Bei dem Projekt geht es um die Markenidentität von Decathlon“, so Cambianica. „Wir wollen zeigen, dass es anders geht. Es geht nicht nur darum, ein Rennrad mit Generativem Design zu entwerfen, sondern auch darum, die Identität des Produkts zum Ausdruck zu bringen.“
Zunächst konzentrierte sich das Team auf zwei Fahrradkomponenten – die Gabel und den Rahmen. Es stieß jedoch auf einige Hindernisse, z. B. die Umsetzung eines dynamischen Ansatzes in einem statischen Entwurf. So arbeitet die Software im statischen Modus, während beim Entwurf des Fahrrads dynamische Kräfte berücksichtigt und simuliert werden müssen. Folglich war es schwierig, einen korrekten Belastungsplan zu erstellen. Parameter mussten angepasst und Daten ergänzt werden, um den Übergang vom einen zum anderen Zustand anzupassen.
Bereits die ersten Tests mit der Gabel konnten die Zweifel an der Technologie ausräumen. Die Aufgabe wurde erfüllt. Mit dem Verfahren wurden nicht nur die geforderten Vorgaben in Bezug auf Gewicht und Ästhetik erreicht. Auch das eingesetzte Material reduzierte sich erheblich und lässt sich leichter recyceln.
Obwohl das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, haben die Teams bereits ihr Interesse an diesem Ansatz bekundet und möchten die Tests nach der ersten Phase weiterführen.
„Wir sind uns bewusst, dass wir erst ganz am Anfang eines innovativen Designverfahrens stehen“, sagt Cambianica. „Die neue Herangehensweise an die Gestaltung wird unseren Produktdesignprozess grundlegend verändern. Wir müssen alle Fortschritte machen, auch die Software. Wir müssen Generatives Design als echte Chance begreifen, uns gründlich darin einarbeiten und es in den Designprozess integrieren, denn nur damit lässt sich der ökologische Hebel ansetzen.“
Welt der Möglichkeiten an der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft
Mit der Veränderung des Produktdesignprozesses durch Generatives Design sind auch der Designende gefordert, ihr Aufgabenfeld neu zu definieren oder sich mit ihm weiterzuentwickeln. „Der Computer ist nicht wie ein Mensch strukturiert. Er stößt nicht an Grenzen, kann originellere Formen anbieten und die Arbeit des Designers in eine neue Perspektive setzen. Der Designer kann gesellschaftliche Aspekte betonen und dem Benutzer eine emotionale Beziehung zum Produkt vermitteln“, bemerkt Ancely.
Beim Design geht es nicht nur um Formgebung und Ästhetik. Für Cambianica besteht die Rolle des Designenden darin, eine Beziehung zwischen Benutzendem und Produkt herzustellen. Daher wird Empathie zunehmend an Bedeutung gewinnen, d. h. die Fähigkeit des Designenden, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und deren Empfindungen wahrzunehmen.
„Ein Designer muss eng mit der Technologie vertraut sein. Um mit den kreierten Produkten eine Idee zu vermitteln, braucht es die Kombination aus Intuition, Beobachtungsgabe und Technologie. Mit den Tools werden wir viel Zeit einsparen. Sie verarbeiten die technischen Vorgaben und wir können uns mehr auf die menschlichen Aspekte unserer Arbeit konzentrieren – nämlich darauf, Bedürfnisse zu erkennen und Wünsche zu wecken.“
„Mit den Tools werden wir … uns mehr auf die menschlichen Aspekte unserer Arbeit konzentrieren – nämlich darauf, Bedürfnisse zu erkennen und Wünsche zu wecken“, sagt Cyrille Ancely, Digital Design Skills Leader bei Decathlon Frankreich.
Generatives Design als Wachstumsfaktor
Der Designer von morgen muss an globalen Problemen arbeiten und in der Lage sein, ein großes Spektrum an Technologien unterschiedlicher Komplexität souverän zu nutzen. Generatives Design eröffnet nicht nur beträchtliche neue Möglichkeiten, sondern bestätigt die technische Machbarkeit eines Konzepts bereits in der Entwurfsphase durch die im Vorfeld eingegebenen technischen Parameter.
So kann sich der Designende stärker auf Wert und Gebrauch des Produkts konzentrieren statt auf den technischen Aspekt. „Ich betrachte Generatives Design als ein Instrument, das dem Designer – ähnlich wie das Mikroskop dem Wissenschaftler – eine neue Verständnisebene für das Designobjekt eröffnet“, schlussfolgert Cambianica. „Die technologischen Möglichkeiten zur Umsetzung neuer Ideen sind sehr vielfältig. Der schrittweise Designprozess ist zwar nach wie vor entscheidend, aber mit der Generativen Designfunktion erhält der Designer eine unmittelbare Antwort vom Computer und kann seine Arbeit zielgerichtet fortsetzen. Aufgrund der Daten kann er sich auf Nachweise und nicht nur auf Vermutungen stützen.“
Diese Sichtweise wird auch von Bertrand Masure und Autodesk geteilt. „In dieser neuen Welt der Möglichkeiten ist die Technologie der Begleiter des Designers. Sie eröffnet ihm quasi unendliche Gestaltungsmöglichkeiten. Der Designer kann sich auf die Lösung des Problems konzentrieren. Bevor es in die nächste Phase geht, steht über die Schnittstelle Mensch-Computer die richtige Lösung bereits fest.“