Zukunft der Raumfahrt: Wie Künstliche Intelligenz helfen kann, außerirdisches Leben zu finden
- Generatives Design unterstützt Ingenieure mithilfe Künstlicher Intelligenz bei der Optimierung von Konstruktionsplänen unter Berücksichtigung präziser technischer Vorgaben und prägt damit schon heute die Zukunft der Raumfahrt
- In der Raumfahrttechnik lassen sich damit Strukturen konstruieren, die im Vergleich zu herkömmlichen Komponenten ein deutlich geringeres Gewicht und überlegene mechanische Eigenschaften aufweisen
- Die NASA und ihre Partnerunternehmen setzen Generatives Design ein, um neue Lösungen zur Bewältigung der physikalischen Herausforderungen bei Raumfahrtmissionen wie dem EXoplanet Climate Infrared TElescope (EXCITE) und der Rückholung von Gesteinsproben vom Mars zu entwickeln
Faszination Weltall: Sechs Jahrzehnte nach der ersten bemannten Raumfahrt gibt es zwischen Himmel und Erde immer noch Phänomene, von denen sich das Schulwissen des durchschnittlichen Erdlings kaum träumen lässt.
Neben Schwarzen Löchern und Braunen Zwergen, Supernovae und Antimaterie beflügelt auch die Schwerelosigkeit immer wieder die Fantasie der Menschen, obwohl sie naturwissenschaftlich durchaus solide erforscht ist. Präziser gesagt handelt es sich um Mikrogravitation – einen Zustand also, in dem die Auswirkungen der Schwerkraft aufgrund der großen Entfernung zur Erde nicht direkt zu spüren sind.
Die Astronauten auf der Internationalen Raumstation (ISS) machen sich seit Jahren einen Spaß daraus, irdische Weltraumfans mit Videos zu unterhalten, in denen sie freischwebend Purzelbäume schlagen, Wassertropfen mit dem Mund auffangen, mit Tomaten jonglieren usw. Dass auf der ISS Schwerelosigkeit herrscht, liegt nicht etwa an der Entfernung zur Erdoberfläche, wie man vielleicht meinen könnte. Vielmehr rast sie auf ihrer Umlaufbahn in einer permanenten Kurve um die Erde, die genau der Krümmung der Erdoberfläche entspricht. Dadurch befindet sich die ISS – und mit ihr alle Menschen und Gegenstände in ihrem Inneren – ständig im freien Fall, sodass sich Schwerkraft und Fliehkraft gegenseitig aufheben.
Die Obsession mit der Schwerelosigkeit im All entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der Anschein, dass die Gesetze der irdischen Physik im Weltraum keine Gültigkeit haben, trügt nämlich. Tatsächlich spielt die physikalische Größe der Masse bei der Planung und Konstruktion von Raumfahrzeugen eine entscheidende Rolle.
Alex Miller vom US-Ingenieurbüro Newton Engineering and Product Development bringt das mit einer so einfachen wie eingängigen Formel auf den Punkt: „In der Raumfahrt ist Masse gleich Kosten.“
Um die Kraftstoff- und Energieeffizienz von Raumfahrzeugen zu optimieren, ihre strukturelle Integrität zu gewährleisten und die technische Ausstattung zu maximieren, kommt es darauf an, das Gewicht des Fahrzeugs selbst und seiner Komponenten so gering wie irgend möglich zu halten.
Das ist einfacher gesagt als getan. Zur Bewältigung der Herausforderungen, die mit der manuellen Planung leichterer Raumfahrzeuge verbunden sind, setzen die Experten der NASA und Unternehmen wie Newton daher mit Blick auf die Zukunft der Raumfahrt zunehmend auf KI-gestütztes Generatives Design.
Generatives Design erweitert die Grenzen des Machbaren
Konkret kommt dabei ein Programm zum Einsatz, das basierend auf physikalischen Gesetzen und fertigungsspezifischen Optimierungsalgorithmen und unter Berücksichtigung detaillierter technischer Parameter eine Vielzahl von Lösungen generiert, die die Problemstellung und Vorgaben der Anwendenden erfüllen. Das Ergebnis sind Konstruktionspläne für Strukturen, die den von Maschinenbauingenieuren entwickelten Komponenten in vieler Hinsicht überlegen sind.
„Sie muten zunächst ziemlich fremdartig und sonderbar an – aber sobald man sie in Funktion sieht, leuchtet das Design total ein“, erläutert der NASA-Forschungsingenieur Ryan McClelland in einem Anfang 2023 auf der Website der US-Raumfahrtbehörde veröffentlichten Interview.
Ihr „fremdartiges und sonderbares“ Aussehen erklärt sich aus einem entscheidenden Unterschied zwischen menschlicher und Künstlicher Intelligenz: Im Gegensatz zu einem Ingenieur hat eine KI keine vorgefasste Vorstellung davon, wie das fertige Produkt aussehen soll. Stattdessen liefern die Algorithmen eine Lösung, die die technischen Vorgaben für das jeweilige Projekt möglichst effizient erfüllt. Dabei kommen immer wieder Geometrien heraus, die jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens liegen und ihrerseits organische Formen hervorbringen, die den meisten Menschen niemals einfallen würden.
„Zu meinen größten Aha-Erlebnissen beim Arbeiten mit Generativem Design gehört, dass die Ergebnisse einerseits vollkommen überraschend sind, weil kein Mensch jemals von alleine darauf kommen würde, andererseits aber auch unmittelbar offensichtlich“, berichtet McClelland. „Sobald ich die Lösung sehe, leuchtet sie mir intuitiv sofort ein.“
Geringeres Risiko durch optimierte mechanische Eigenschaften
Generatives Design ist ein Paradebeispiel für die effiziente Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Der Ingenieur erstellt die technischen Vorgaben, die der fertige Konstruktionsplan erfüllen soll – in diesem Fall Angaben zur Last, die eine Struktur aushalten muss, sowie zu den Kräften, denen sie im Weltraum ausgesetzt wird. Diese Vorgaben werden dann von einem Softwareprogramm verarbeitet, das innerhalb weniger Stunden mehrere Dutzend Iterationen eines Konstruktionsplans erstellen kann.
„Die KI testet die Entwürfe nach der Finite-Elemente-Methode, um sicherzustellen, dass die technischen Vorgaben erfüllt werden, und überprüft dann im Rahmen einer Fertigungssimulation die Machbarkeit“, erläutert McClelland das Verfahren im NASA-Podcast Small Steps, Giant Leaps.
Während ein menschlicher Ingenieur eine Woche brauche, könne die KI in Minutenschnelle eine neue Iteration des Konstruktionsplans erstellen. „Entsprechend kann man mehr Iterationszyklen durchführen und hat dadurch sehr viel schneller einen optimalen Entwurf“, so McClelland weiter.
Neben der Möglichkeit, Planungsverfahren durch Nutzung von Generativem Design beträchtlich zu beschleunigen, sieht McClelland einen weiteren entscheidenden Vorteil in den hervorragenden mechanischen Eigenschaften des Endprodukts.
„Wir haben festgestellt, dass sich das Risiko damit senken lässt“, bekräftigt McClelland. „Im Vergleich zu Teilen, die nach menschlichen Entwürfen gefertigt werden, ist der Spannungskonzentrationsfaktor bei den KI-generierten Strukturen um ein Zehnfaches niedriger.“
Der Kostenfaktor spielt ebenfalls eine wichtige Rolle – zumal bei den projektspezifischen Konstruktionsplänen, auf die sich die NASA spezialisiert hat. „Unser größter Kostentreiber sind nicht Herstellkosten, sondern die Einmalkosten, die durch Entwicklung, Bemusterung und Testen Tausender von Teilen entstehen, die nur für ein einziges Projekt benötigt werden. So mussten etwa für das Hubble-Weltraumteleskop und das James-Webb-Weltraumteleskop jeweils eigene Komponenten erstellt werden, und wir konnten die Pläne nicht einfach wiederverwenden, wie es etwa ein Auto- oder Fahrradhersteller tun würde“, erläutert McClelland. Daher sei Generatives Design für eine Einrichtung wie die NASA besonders wertvoll.
Auch in Bezug auf die alles entscheidende Größe der Masse sind KI-generierte Strukturen herkömmlichen Bauteilen eindeutig überlegen. Laut McClelland lässt sich durch Generatives Design eine Reduzierung des Gesamtgewichts um über 60 % erzielen – und dies bei einer dreimal so hohen Leistungsfähigkeit. „Konkret meine ich damit das Verhältnis zwischen Steifigkeit und Gewicht“, wie McClealland im NASA-Podcast präzisiert. „Mit Generativem Design produzieren wir Strukturen, die sowohl sehr steif als auch sehr leicht sind – und zugleich um einiges fester als von Menschen entworfene Teile.“
Aus physikalischer und betriebswirtschaftlicher Perspektive liegen die Vorteile einer höheren Werkstoffleistung auf der Hand. Vielleicht weniger offensichtlich ist der Nutzen für die Personalplanung. „Durch die Möglichkeit, mit weniger Iterationen Konstruktionspläne für Strukturen mit optimalen Steifigkeits- und Festigkeitswerten zu erstellen, reduziert sich nicht zuletzt der Arbeitsaufwand für Statiker“, meint McClelland und verweist auf den eklatanten Fachkräftemangel in diesem Bereich.
Auf dem Weg zum Mars – und in die Zukunft der Raumfahrt
Das Potenzial von Generativem Design zur Unterstützung der Raumfahrttechnik lässt sich an zwei aktuellen Projekten besonders schön veranschaulichen: dem EXoplanet Climate Infrared TElescope (EXCITE) und der Mars Sample Return Mission zur Rückführung von Gesteinsproben.
Das EXCITE-Teleskop soll bereits im Herbst 2023 mit einem Heliumballon ins Weltall geschickt werden. Seine Mission: die Beobachtung warmer Exoplaneten, die ferne Sterne umkreisen. Das Teleskop ist etwa so groß wie ein SUV und besteht aus mindestens zwei Elementen, die mithilfe von Generativem Design erstellt wurden – einem Stützgerüst aus Titan sowie einer optischen Bank zur Befestigung der optischen Komponenten des UV/VIS-Spektrometers.
In einem Interview mit der Architekturzeitschrift Dezeen beschrieb McClelland diese optische Bank als die „wohl beeindruckendste unter den bisherigen Anwendungen“ für Generatives Design in der Raumfahrttechnik: „Sie unterscheidet sich grundlegend von den bislang üblichen optischen Bänken und weist eine deutlich bessere statische Leistung auf. Und sie konsolidiert etwa zehn einzelne Bestandteile einer herkömmlichen optischen Bank in einer einzigen Komponente.“
Die Mars Sample Return Mission ist für 2027 geplant. Dabei soll eine Reihe von Fahrzeugen eingesetzt werden, um Gesteinsproben zu sammeln und zur Erde zu bringen, die möglicherweise den Nachweis erbringen können, dass es einst Leben auf dem Roten Planeten gab. Das Team von Newton arbeitete mit Autodesk Fusion 360, um mithilfe von Generativem Design ein kritisches Bauteil für die Mission zu entwerfen.
Seit Februar 2021 ist der Rover Perseverance auf dem Mars unterwegs und sammelt Proben, die er in hermetisch versiegelten Metallbehältern auf der Oberfläche des Planeten ablegt, wo sie später von einem Landemodul eingesammelt werden sollen. Bei der geplanten Rückholmission handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt zwischen der NASA und der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA), die einen Roboterarm entwickelte, um die Proben in die Rakete zu verladen und zum Earth Return Orbiter zu bringen, wo sie sterilisiert und für den endgültigen Rückflug zur Erde vorbereitet werden.
Für diesen Schritt wird der von Newton konstruierte Capture Lid Mechanism benötigt, der die von der Rakete geschleuderten Proben auffangen und umgehend verschließen soll. Mit Fusion 360 konnten die Newton-Ingenieure das Gewicht des Behälters um 30 % reduzieren.
„Der Schließmechanismus muss den Behälter sehr schnell versiegeln, um zum einen zu verhindern, dass die Proben sofort wieder wegschweben, und zum anderen die Verunreinigung auf ein absolutes Minimum zu begrenzen“, erläutert Alex Miller von Newton. „Wir mussten also eine Schließvorrichtung entwickeln, die sehr leichtgewichtig ist und dabei eine hohe Festigkeit aufweist. Die Möglichkeit, mit Fusion 360 und Generativem Design zu arbeiten, war dabei ungeheuer hilfreich.“
Die Zukunft der Raumfahrt gehört KI-gestützten Technologien
Mit KI-gestütztem Generativen Design lassen sich die Kosten und der Aufwand für die Konstruktion leistungsstarker leichtgewichtiger Komponenten für die Raumfahrt erheblich senken. Damit werden Missionen denkbar, die weiter ins Weltall vordringen, länger dort verbleiben und komplexere Forschungsarbeit leisten, als es ohne die Technologie möglich gewesen wäre.
Bei allen eindeutigen Vorteilen ist die effiziente Nutzung von Generativem Design auch mit praktischen Herausforderungen verbunden – das gilt für Privatunternehmen wie Newton ebenso wie für öffentliche Einrichtungen wie die NASA.
Ein vorrangiges Problem sieht McClelland darin, dass die Grenzen des technisch Machbaren oft die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens übersteigen. Mittlerweile steht eine Vielzahl additiver, subtraktiver und hybrider Fertigungsverfahren zur Auswahl, die eine unkomplizierte und kostengünstige Realisierung KI-generierter Entwürfe unterstützen. Dennoch, so McClelland, herrsche bei manchen Stakeholdern immer noch Skepsis.
„Viele sehen diese seltsamen organischen Strukturen und denken automatisch, dass sie sich niemals mit normalen Werkstoffen im CNC-Fräsverfahren umsetzen ließen“, berichtet er im NASA-Podcast Small Steps, Giant Leaps. „In Wirklichkeit hat sich auch die CNC-Technik weiterentwickelt, und man kann heutzutage mit der Fünf-Achsen-Bearbeitung so gut wie jeden Entwurf umsetzen.“
Tatsächlich gibt es jedoch Sachzwänge, die einer weiteren Optimierung bislang im Wege stehen: Derzeit ist noch keine Software verfügbar, die thermische Parameter verarbeiten kann. McClelland geht jedoch davon aus, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. „Thermische und statische Probleme sind bei NASA-Projekten oft eng miteinander verzahnt“, erläutert er. „Meine Hoffnung ist, dass es künftig möglich sein wird, beim Generativen Design statische und thermische Vorgaben gleichermaßen zu berücksichtigen. Konkret heißt das, dass man z. B. einen Grenzwert für die Wärmeleitfähigkeit festlegt und der Entwurf trotzdem die Vorgaben für die statische Steifigkeit erfüllt.“
Für Miller steht eins fest: KI-gestützte Technologien wie Generatives Design sind aus der Raumfahrttechnik nicht mehr wegzudenken. „Ich bin fest davon überzeugt, dass für die Menschheit gerade ein neues Zeitalter der Künstlichen Intelligenz anbricht – und dass Generatives Design ein absolutes Muss für Ingenieurbüros ist, die wettbewerbsfähig bleiben wollen“, meint er. Für die erfolgreiche Projektabwicklung auf dem Heimatplaneten sei die Technologie schon heute unverzichtbar.