PERSPEKTIVEN

Mehr als Schadensbegrenzung: Klimaplan für Top-Unternehmen

JOE SPEICHER, AUTODESK VP

Share this story

 

Für einen erfolgreichen Kurs im Klimaplan ist es entscheidend für Unternehmen, mehr zu tun, als nur CO2-Neutralität zu erreichen.

Gerade führende Unternehmen in Fertigung und Architektur sowie im Ingenieur- und Bauwesen müssen die Speerspitze der weltweiten Kraftanstrengung für eine nachhaltigere Zukunft sein. Im Jahr 2021 wurden Green Bonds im Wert von 875 Milliarden Euro gehandelt – und der Markt wächst stetig weiter. Das Fortschreiten der digitalen Transformation ermöglicht es Unternehmen, mithilfe neuer Technologien nachhaltiger zu planen und zu bauen.

A worker inspecting materials in a plastics recycling factory.

Ein Mitarbeiter einer Firma für Kunststoffrecycling prüft das Rezyklat.

Unsere aktuelle Lage

Es liegt in der menschlichen Natur, ein größeres Augenmerk auf Krisen und schlechte Nachrichten zu legen. Immerhin scheint solch ein pessimistisches Weltbild ein evolutionäres Überbleibsel zur Steigerung der Überlebenschancen zu sein. Blicken wir mit diesem Filter auf unsere derzeitige Lage: ein Krieg mit globaler Tragweite mitten in Europa, dazu Erdbeben, Waldbrände, Flutkatastrophen und verheerende Dürreperioden. Die Hälfte des weltweiten Wohlstands behält nur 1 % der Bevölkerung für sich. Klingt wie ein dystopischer Sci-Fi-Roman? Willkommen im Jahr 2023.

Doch das ist nur die eine Hälfte der Wirklichkeit. Immer wieder gelingt es Menschen, ihren inhärenten Negativitätsbias auszublenden und ein komplett gegenteiliges Bild der Realität zu zeichnen: Klimagipfel zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele, ein Anheben der Mindestlöhne, ein Ausbau klimaneutraler öffentlicher Verkehrsmittel und innovative Technologien zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Zudem investieren immer mehr Unternehmen in ESG-Maßnahmen, die Projekte in den Bereichen Umwelt (environment), Soziales (social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (governance) unterstützen. Objektiv betrachtet gab es weltweit noch nie so viele konzertierte Aktionen zum Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen.

Verantwortlichkeiten des privaten Sektors

Allmählich erkennen auch immer mehr Führungskräfte, dass es an der Zeit ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie blicken über den Tellerrand ihrer unternehmerischen Zuständigkeiten und nutzen neuartige Technologien und nachhaltige Finanzierungsmodelle für den nötigen Kurswechsel. Dies führt zu teilweise drastischen Entscheidungen, die sich nicht nur positiv auf ihre Umsätze auswirken, sondern vor allem den Weg in eine bessere Zukunft ebnen.

Teilweise sind dafür klare Veränderungen im Konsumverhalten im privaten Sektor verantwortlich. Die damit einhergehenden Erwartungen hinsichtlich Klimaschutz und Nachhaltigkeit kann keine Führungskraft außer Acht lassen: Mit ihrer Kaufkraft fordern Konsumierende den Wandel von Unternehmen hin zur Nachhaltigkeit förmlich ein. Bei der Jobwahl ist es Angestellten zunehmend wichtig, dass sich Unternehmen mit den Themen Diversität und Umweltverträglichkeit auseinandersetzen, und auch Investoren setzen zunehmend auf Partner, die ein Verständnis von nachhaltiger Entwicklung haben. All dies führt zu einem größeren Bedürfnis der Konsumierenden nach einem Verantwortungsbewusstsein in der Produktion, für das sich die Unternehmen wappnen müssen.

Beim Umdenken hin zu einem nachhaltigen Klimaplan sind gerade Unternehmen in den Bereichen Architektur und Fertigung sowie Ingenieur- und Bauwesen aus folgenden Gründen ein lohnender Ausgangspunkt:

  • Das Bauwesen generiert 13 % des globalen BIP, verbraucht dabei jedoch mehr als die Hälfte (PDF, S. 7) aller weltweit abgebauten Rohstoffe.
  • Der vom Menschen geschaffene Lebensraum und dessen Infrastruktur schlägt mit etwa 40 % der globalen Treibhausgasemissionen zu Buche.
  • In Deutschland trägt der industrielle Energieverbrauch zu 19 % der Treibhausgasemissionen bei; allein die EU ist für die Emission von rund 800 Millionen Tonnen CO2

Die Coronapandemie der vergangenen Jahre hat in vielerlei Hinsicht dafür gesorgt, dass sich Unternehmen neu aufstellen mussten – von der beschleunigten Digitalisierung bis hin zur Möglichkeit, sich völlig neu auszurichten. Was nehmen wir aus dieser Zeit mit? Diese Entwicklungen sind nicht nur unumkehrbar, sondern bieten Unternehmen in den AEC-Branchen (architectureengineeringconstruction) und der Fertigung das ideale Fundament, die Digitalisierung und innovative Technologien als Chancen zu begreifen, um nachhaltigere Ergebnisse für eine gerechtere Welt zu erzielen: Um sich wirklich hervorzutun, reicht es für Unternehmen nicht mehr aus, nur weniger falsch zu machen, sondern es muss darum gehen, für mehr Gutes auf der Welt zu sorgen. Dies erfordert eine gemeinsame Kraftanstrengung, die von Menschen ersonnen und durch Technologie perfektioniert wird – und diese Erkenntnis kommt allmählich auch in den ausführenden Industrien an.

A hydrogen fuel cell bus.

Ein mit Wasserstoff betriebener Bus. 

Auch bei Wachstum stets wachsam bleiben

Im professionellen Kontext hat der Begriff der Nachhaltigkeit schon lange nicht mehr nur mit Umwelt- und Klimathemen zu tun, sondern betrifft auch uns Menschen. Schließlich geht es darum sicherzustellen, dass wir Menschen als Gemeinschaft möglichst gut auf einem noch möglichst lange bewohnbaren Planeten leben können. Das schließt natürlich Themen wie (Un-)Gerechtigkeit und Inklusion in die Diskussion ein. Dazu prüfen Unternehmen nun vermehrt, was sie – außer den Renditen für ihre Aktionäre – noch Gutes tun können. Dabei lohnt es sich, bei einem ESG-Gerüst anzufangen: ESG vereint eine Bandbreite nicht-monetärer Motivationspunkte, die Unternehmen in der Entwicklung ihrer Strategien berücksichtigen sollten, zum Beispiel Energie- und Abfallwirtschaft sowie Emissionen, aber auch Sicherheit und Atmosphäre am Arbeitsplatz, Kundenbindung, Gemeinschaftsgefühl und Diversität ebenso wie Unternehmensführung und Compliance.

Stakeholder ersetzen Shareholder

Ein starkes ESG-Konzept legt gewisse Leitprinzipien für ein Unternehmen fest. Dabei minimiert es Risiken und schafft Werte. Insgesamt ist die Zahl der Anleger, die bei ihren Fonds Wert auf die Einhaltung von ESG-Richtlinien legen, in letzter Zeit stark gestiegen. Laut einer Studie von McKinsey sind nachhaltige Investments weltweit auf mittlerweile über 30 Billionen US-Dollar gestiegen und stellen nun beinahe ein Drittel der globalen Vermögensverwaltung. Unternehmen, die es versäumen, ESG-Investoren Anlässe zu bieten, in ihr Unternehmen zu investieren, könnten sehr bald ziemlich allein dastehen.

Wenn man die Auswirkungen auf die Welt berücksichtigt, ließe sich so eine Stakeholder-Ökonomie schaffen, die eine bedeutende Weiterentwicklung des derzeitigen Shareholder-Modells darstellt. Im Stakeholderkapitalismus müssten Unternehmen den Umfang ihrer Verantwortlichkeiten ausweiten, indem sie beispielsweise in ihre Angestellten und deren Gemeinschaften investieren und sie fördern, anstatt nur die Taschen ihrer Investoren zu füllen. So wären Unternehmen gezwungen, nicht nur auf Rendite zu schielen, sondern die größeren Zusammenhänge in der Gesellschaft im Auge zu behalten. Das muss natürlich nicht zwangsläufig einen Rückgang der Gewinne mit sich ziehen: Angesichts der wachsenden Nachfrage nach sozialer Verantwortung seitens der globalen Player ist es heute ein Wettbewerbsvorteil, ein Stakeholder-Unternehmen zu sein. Tatsächlich laufen ESG-Fonds dem herkömmlichen Markt allmählich den Rang ab.

Engineers climb a wind turbine at an offshore wind farm.

Ingenieure erklimmen eine Windkraftanlage in einem Offshore-Windpark.

Nachhaltige Finanzwirtschaft für eine bessere Welt

Auf ihrem Weg in eine verantwortungsbewusstere Zukunft entwickeln viele Unternehmen einen nachhaltigen Finanzierungsrahmen. Mithilfe dieser Investment-Leitlinien können für ein Unternehmen gewisse Wirkungsstrategien festgelegt werden. Um Kapital für Projekte in diesem Rahmen zu beschaffen, geben Unternehmen häufig GSS-Anleihen aus, die grüne (green), soziale (social) und nachhaltige (sustainable) Projekte finanzieren, die sich für Mensch und Umwelt einsetzen. Allein im Jahr 2021 wurden Green Bonds im Wert von 875 Milliarden Euro gehandelt – mehr als eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr – und der Markt wächst stetig weiter.

Green Bonds werden von Regierungen und staatlichen sowie privaten Unternehmen ausgegeben, um Anreize für nachhaltige Ausrichtungen zu schaffen. Die Unternehmen wiederum können diese Mittel für Bauprojekte vorbehalten und in neue und bestehende Bauvorhaben investieren, um die mit dem Klimawandel einhergehenden Risiken abzufedern. Diese kreative Art der Finanzierung kommt nicht nur dem globalen Wohl zugute, sondern auch den Unternehmen selbst, wie die Harvard Business Review jüngst befand. Denn ähnlich wie ESG-Anleihen verbessern Green Bonds nicht selten das Ranking eines Unternehmens.

Ein ideales Beispiel für Green Bonds stellt das multinationale Energiemanagement-Unternehmen Schneider Electric dar, das durch innovative Technologien und nachhaltige Finanzierungsstrategien einen großen Schritt vorangeht. Das Unternehmen konzentriert seine Umweltbemühungen auf die Verringerung des eigenen betrieblichen CO2-Fußabdrucks. Zusätzlich stellten im Jahr 2020 (PDF, S. 2) seine Green Bonds im Wert von 650 Millionen Euro eine vollständig nachhaltige Wertschöpfungskette dar. So verpflichtete sich Schneider Electric, die Zulieferung durch bessere Prozesse und Praktiken bis 2050 klimaneutral zu gestalten und bis zu 800 Megatonnen an CO2-Emissionen als neue Werkstoffe an seine Kundschaft zurückzuführen.

Selbstverständlich muss jedes Unternehmen auch zwischendurch externes Kapital beschaffen, etwa durch Investoren, Aktionäre, Geldanleihen von Banken oder die Ausgabe von Schuldtiteln. Dabei werden nachhaltige Green Bonds üblicherweise zu einem vergünstigten Zinssatz angeboten, was es den Emittenten ermöglicht, jedes Jahr mehrere Millionen Euro zu sparen. Bau- und Fertigungsunternehmen, die ihre Geschäftspraktiken an nachhaltigeren Zielen – zum Beispiel an weniger Abfall, höherer Energieeffizienz oder besserer Materialauswahl – ausrichten möchten, bietet sich mit dem starken Anstieg von GSS-Anleihen nun die beste Gelegenheit, diese wirksam einzusetzen.

Aerial view of a solar thermal-power station in the Nevada desert.

Luftaufnahme einer Freiflächen-Solarthermieanlage im US-Bundestaat Nevada.

Verzahnung von Digitalisierung und Klimaplan

Zeitgleich mit der Wende hin zu nachhaltigen Anleihen nimmt auch die Digitalisierung in den AEC-Branchen und der Fertigung immer mehr an Fahrt auf. Das ist ein denkbar glücklicher Zufall, denn während sich Unternehmen zunehmend neuartiger Technologien zur Effizienzsteigerung, Abfallvermeidung und Geldeinsparung bedienen, haben sie so die besten Voraussetzungen, ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern.

Nur wenn Unternehmen der AEC-Branchen sich der Digitalisierung öffnen und Fertigungsunternehmen bereit sind, Praktiken und Tools aus der Industrie 4.0 in ihre Abläufe einzugliedern, werden sie der Aufgabe gewachsen sein, für ihre Umwelt besser geeignete Projekte zu liefern. Hier nur einige Beispiele:

  • Durch Zusammenführung von Projektdaten in einer cloudbasierten Plattform entsteht eine einzige Quelle der Wahrheit. Dies vermeidet Silos und ermöglicht bessere Workflows und reibungslose Zusammenarbeit. Zeitintensive Nacharbeit, die auf schlechtes Datenmanagement und Fehlkommunikation zurückzuführen ist, kann so um 52 % verringert werden.
  • Durch digitale Projektüberwachung können Unternehmen ihren Bestand just in time überwachen und bei Bedarf – anstatt auf Verdacht – nachbestellen. So landen 30 % weniger Baustoffe ungenutzt auf der Müllhalde.
  • Mithilfe von Automatisierung erlangte Informationen führen zu verwertbaren Erkenntnissen, die Planern während der verschiedenen Projektphasen zu fundierteren Entscheidungen verhelfen.
  • Generatives Design bedient sich Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellen Lernens, um Architektur- und Ingenieurteams vielfältige Optionen für nachhaltige Designs, etwa durch kohlenstoffbasierte Werkstoffe, zu ermöglichen.

KI, Clouddatenspeicherung und Automatisierung sind natürlich nur einige wenige Beispiele, wie digitale Tools zu nachhaltigeren Ergebnissen beitragen. Zahllose weitere Methoden können AEC-Unternehmen zur Planung, Umsetzung und Instandhaltung von Bauprojekten nutzen, die einen wesentlich kleineren Fußabdruck auf unserem Planeten hinterlassen. Indes können Fertigungsunternehmen optimierte Werkstoffe zur besseren Nachhaltigkeit ihrer Produkte einsetzen. Je normaler der Einsatz digitaler Technologien für diese Branchen wird, desto nachhaltiger werden die Resultate aussehen.

Für all dies könnte es keinen besseren Zeitpunkt geben. Bis 2050 wird die Erdbevölkerung die 10-Millarden-Marke knacken. Dadurch steigt der Bedarf an nachhaltigen Produkten und Lebensumständen dramatisch. Dieser Bedarf kann nur befriedigt werden, indem Unternehmensverantwortungen auf alle Stakeholder verteilt werden, die Kosten für nachhaltige Finanzierungsmodelle und Investments sinken und digitale Tools zum Erzielen nachhaltiger Ergebnisse eingesetzt werden.

Es kann also auch wirtschaftlich nicht schaden, unserem Planeten und uns Menschen etwas Gutes zu tun.

Joe Speicher ist Vizepräsident der Abteilung „ESG and Impact“ bei Autodesk. Zuvor war er Executive Director der Autodesk Foundation.

2023 State of Design & Make

Finden Sie heraus, welche Faktoren in den Bereichen Produktentwicklung und Fertigung, Architektur und Bauwesen, Videospiel- und Filmproduktion die bedeutendsten Veränderungen bewirken.

Diesen Beitrag teilen