PERSPEKTIVEN
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AMY BUNSZEL, AUTODESK EVP
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Fortschritte auf dem Gebiet der Dateninteroperabilität lassen die Utopie einer reibungslosen interdisziplinären Zusammenarbeit in Architektur, Ingenieurwesen und Baubranche in greifbare Nähe rücken. Der effiziente Austausch von Daten zwischen verschiedenen Programmen und Gewerken unterstützt die frist- und budgetgerechte Abwicklung von Bauprojekten. Interoperable Datenstandards tragen auch zur Senkung der Betriebskosten bei, indem sie Eigentümern den Zugriff auf Gebäudedaten über einen digitalen Zwilling ermöglichen.
Ohne Dateninteroperabilität droht jedes Bauprojekt zum Turmbau zu Babel zu werden: Wie sollen die unterschiedlichen Akteure kommunizieren, wenn sie keine gemeinsame Sprache sprechen?
Können Sie sich eine ideale Zusammenarbeit zwischen Architekten, Bauingenieuren, Fertigungswerkstätten, Bauunternehmen und Gebäudeeigentümern vorstellen?
Denkbar wäre sie in einer Welt, in der alle Softwareprogramme – unabhängig vom jeweiligen Hersteller bzw. Anbieter – reibungslos miteinander kommunizieren. In einer Welt, in der niemand doppelte oder überflüssige Arbeit zu machen braucht, weil Informationen bei den Übergängen zwischen den einzelnen Projektphasen und Gewerken nahtlos übergeben werden. Einer Welt, in der alle Mitwirkenden in einer gemeinsamen Datenumgebung zusammenarbeiten und jederzeit auf alle benötigten Daten zugreifen können.
Wenn Ihre Utopie so oder ähnlich aussieht, wird es Sie freuen zu hören, dass wir von dieser besseren Welt gar nicht mehr so weit entfernt sind. Das Zauberwort, das sie uns erschließen kann, ist zugleich ein kleiner Zungenbrecher: Dateninteroperabilität. Die positive Weiterentwicklung in der AEC-Branche verdanken wir der Experimentierfreudigkeit, Problemlösungskompetenz und technischen Agilität von Fachkräften, denen es gelingt, Softwaretools und Geschäftsmodelle an die speziellen Herausforderungen anzupassen, mit denen sie bei der Planung und Gestaltung der gebauten Umwelt konfrontiert sind.
Neben diesen kreativen Köpfen aus Architektur, Ingenieur- und Bauwesen gebührt auch den zahlreichen Unternehmen, Organisationen, Branchenverbänden und Einzelpersonen Dank, die ihre APIs dokumentieren, ihren Quellcode veröffentlichen, sich mit überzeugenden Argumenten für offene Standards stark machen und unser kollektives Interesse an effektiveren Möglichkeiten für die Gebäudedatenmodellierung vertreten.
Als besonders vielversprechenden Trend nehme ich die Entstehung eines dynamischen, hochgradig individualisierbaren und kundenorientierten Technologie-Ökosystems in der AEC-Branche wahr, das den Austausch und die Umsetzung von Ideen fördert. Damit wird erst recht die Frage akut, wie sich im Dickicht der heterogenen, oft miteinander inkompatiblen Software-Anwendungen mehr Harmonie schaffen lässt.
In der AEC-Branche müssten die diesbezüglichen Probleme eigentlich hinlänglich bekannt sein. Immerhin stellen suboptimale Arbeitsabläufe ein permanentes Ärgernis dar, das nicht nur die Zusammenarbeit mit Projektpartnern erschwert, sondern auch Nacharbeiten und Behelfslösungen erzwingt, die zu schrumpfenden Gewinnmargen, allgemeinem Frust und BIM-Müdigkeit führen.
Unterm Strich sind die Negativfolgen unübersehbar. Verzögerungen und Budgetüberschreitungen (PDF, s. S. 18) sind seit Jahren ein notorisches Übel bei Bauprojekten. Die dadurch entstehenden finanziellen Verluste werden von allen Beteiligten getragen, wobei die Bauherren überproportional belastet werden. Eine Studie (PDF, s. S. 7) von FMI und dem Autodesk-Portfoliounternehmen PlanGrid kam zu dem Ergebnis, dass 52 % der bei Bauprojekten anfallenden Nacharbeiten durch mangelnde Datentransparenz und Kommunikation zwischen den verschiedenen Stakeholdern verursacht werden. 2018 kosteten diese Fehler den US-amerikanischen Bausektor 31,3 Milliarden USD (ca. 29 Milliarden Euro). Pro Arbeitskraft gehen in einer durchschnittlichen Woche 14 Stunden – etwa 35 % der Gesamtarbeitszeit – mit der Behebung einschlägiger Probleme verloren: Dazu zählt die Suche nach Projektdaten und -informationen ebenso wie Fehlerkorrekturen, Nacharbeiten und Konfliktbewältigung.
Für den Mangel an Interoperabilität gibt es mehrere Ursachen – proprietäre Datenformate, umstrittene Standards, technische Schulden, sprich: die langfristigen Konsequenzen früherer (Fehl-)Entscheidungen und Investitionen. Die tatsächliche Höhe der Kosten, die der Branche daraus entstehen, ist vielen Betroffenen womöglich noch kaum bewusst und sollte im Kontext der Software-Entwicklung unbedingt thematisiert werden. Denn Architektur-, Planungs- und Ingenieurbüros, die in die Eigenentwicklung hochgradig spezialisierter Tools investieren – sei es für den internen Bedarf oder zur kommerziellen Vermarktung –, müssen die Chancen und Risiken präzise beurteilen, um abschätzen zu können, ob die Rechnung letztlich aufgeht oder eben nicht.
Beim Ausbau des Flughafens in Oslo konnten Tausende von Arbeitsstunden eingespart werden, indem alle Projektbeteiligten auf interoperable Datenstandards verpflichtet wurden.
Bei Autodesk haben wir in den vergangenen 39 Jahren bei Investitionen in neue Technologien immer wieder gewagt, auf Interoperabilität zu setzen. Das gilt für die Entwicklung von AutoCAD als CAD-Tool, das auf allen gängigen Hardwareplattformen ausgeführt werden kann, ebenso wie für die Einführung von DXF als offen dokumentiertes Dateiformat und für unser Engagement als Mitgründer der International Alliance for Interoperability. Auch Dynamo wurde aus dem ausdrücklichen Bekenntnis zum Demokratisierungseffekt der intuitiven visuellen Programmierung heraus entwickelt, hinter dem eine Open-Source-Community und dezidiertes Entwicklerethos stehen. Wir haben auf APIs gesetzt, bevor sie mit dem zunehmenden Trend zum Cloud-Computing allgegenwärtig wurden, und auf Kooperationen mit Geschäftspartnern – ESRI, Bentley, Schneider Electric, Trimble und weiteren namhaften Unternehmen –, die gleichzeitig unsere Wettbewerber sind.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es höchste Zeit für die AEC-Branche ist, sich auf neue Wagnisse zur Förderung von Interoperabilität einzulassen. Konkret bedeutet das, verstärkt in offene Standards, gemeinsame Datenumgebungen, APIs und Cloud-Computing zu investieren.
Die reibungslose Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Stakeholdern, Projektteams und Gewerken setzt voraus, dass alle Beteiligten in einer gemeinsamen Datensprache miteinander kommunizieren können. Ist das nicht der Fall, ergeben sich ähnliche Schwierigkeiten wie beim Informationsaustausch zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen. Um es plakativ auszudrücken: Ohne Dateninteroperabilität droht jedes Bauprojekt zum sprichwörtlichen Turmbau zu Babel zu werden.
Um hier durch Bereitstellung einer Lingua Franca für alle AEC-Daten effektiv Abhilfe zu schaffen, engagiert sich der Branchenverband buildingSMART International (ehemals International Alliance for Interoperability) für eine breitere Akzeptanz der bereits 2013 ISO-zertifizierten Industry Foundation Classes (IFC). Der dateibasierte Austausch von Daten und Referenzmodellen ist bei multidisziplinären Kooperationsprojekten längst gang und gäbe, und die Schlichter- und Vermittlerrolle eines neutralen Akteurs wie buildingSMART gewinnt angesichts der Vielzahl heterogener, teils konkurrierender Interessen innerhalb dieser Ökosysteme zusätzlich an Bedeutung. Als Mitglied des Strategic Advisory Council der Organisation trägt Autodesk zur Entwicklung einer technischen Roadmap bei, die über die derzeitigen Diskussionen um Dateiformate hinausgehen und auf die umfassende Förderung von Interoperabilität in der Cloud abzielen soll.
Weitgehend einig ist man sich in der Branche auch hinsichtlich der Unverzichtbarkeit gemeinsamer Datenumgebungen. Um eine effektive Zusammenarbeit zwischen global verteilten Teams und Fachkräften zu ermöglichen, benötigen AEC-Firmen Cloud-native Kooperationsplattformen, ohne die eine erfolgreiche Projektabwicklung trotz COVID-Pandemie überhaupt nicht denkbar gewesen wäre.
Cloud-Technologie spielt hier vor allem bei groß angelegten Bau- oder Infrastrukturprojekten eine wichtige Rolle, an denen Hunderte oder gar Tausende verschiedener Unternehmen beteiligt sind. Cloud-Umgebungen ermöglichen nicht nur jederzeit von jedem beliebigen Standort aus Zugriff auf aktuelle Daten, sondern lassen sich auch sehr schnell bedarfsgerecht skalieren.
BIM hat sich bei AEC-Projekten mittlerweile als zentrales koordiniertes Modell bewährt und durchgesetzt, das von allen Stakeholdern genutzt werden kann. Der logische nächste Schritt ist die Verlagerung dieses Modells in die Cloud, um einen noch effizienteren Informationsaustausch zu unterstützen und zu gewährleisten, dass alle erforderlichen Daten jederzeit auf dem aktuellen Stand und in verwertbaren Formaten verfügbar sind.
Über Daten-APIs lässt sich präzise definieren, welche Informationen für eine bestimmte Aufgabe jeweils bereitgestellt werden sollen. Dadurch wird nicht nur die Datenübertragung erheblich beschleunigt, sondern auch das geistige Eigentum der betroffenen Firmen geschützt.
Interoperable IFC-Dateien ermöglichen bereits eine sehr viel effizientere Projektabwicklung. Damit sind die Grenzen des Optimierbaren aber noch längst nicht erreicht: Wenn es nach Organisationen wie buildingSMART geht, soll durch interoperable Datenstandards künftig eine granulare Datenübertragung zur Unterstützung spezifischer Workflows oder Projektziele möglich werden, die den dateibasierten Austausch von Daten und anderen Informationen weitgehend überflüssig macht. Die Arbeit mit Daten-APIs ermöglicht stattdessen eine präzise Fokussierung auf bestimmte Workflows und die jeweils erforderlichen Daten; dies stärkt nicht nur die Sicherheit der Projektdaten, sondern führt auch zu schlankeren Arbeitsabläufen.
Cloud-basierte APIs auf Entwicklerplattformen wie Autodesk Forge unterstützen die Entwicklung von Anwendungen, die Planungs- und Konstruktionsdaten optimieren und integrieren, Vernetzungen zwischen Softwaresystemen ermöglichen und die Effizienz von Workflows verbessern. Zudem lassen sich mit APIs die Performanceprobleme beheben, die beim Austausch von Daten in sehr großen und komplexen Modellen auftreten können.
Bis vor Kurzem war etwa die Kommunikation zwischen Softwarelösungen für Bauplanung und mechanische Konstruktion mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, die sich durch einen API- und datenbasierten Ansatz weitgehend vermeiden lassen. Einmal angenommen, Sie müssen auf Konstruktionsdaten für eine HLK-Anlage zugreifen, die in einem Hochhaus installiert werden soll. Über eine API können Sie präzise definieren, welche Daten abgerufen werden sollen, statt eine Riesendatei mit sämtlichen Daten zu generieren.
Das Prinzip der Granularität, also der Übertragung präzise definierter Daten, spielt hier in zweifacher Hinsicht eine wichtige Rolle. Dadurch wird der Vorgang nicht nur erheblich beschleunigt, sondern auch das geistige Eigentum der einzelnen Firmen geschützt. Ein Bauingenieur, der die Installation der HLK-Anlage planen muss, benötigt nicht sämtliche Daten, die zu ihrer Herstellung erforderlich sind. Er muss lediglich in der Lage sein, die baurechtlichen Vorgaben sowie die Projektziele in Bezug auf Mieterkomfort und ökologischer Nachhaltigkeit mit den technischen Daten der Anlage abzugleichen, um anhand dieser Faktoren das geeignete Modell mit der richtigen Größe auszuwählen.
Dieses Vorgehen hat Vorteile für alle Beteiligten: HLK-Hersteller können durch Bereitstellung entsprechender Geometrien und Metadaten ihre Position gegenüber den Mitbewerbern stärken. Architekturbüros können sich darauf verlassen, dass die eingebaute Anlage den Anforderungen des Bauträgers entspricht. Dieser wiederum erspart sich unnötige Zusatzkosten für teure Nacharbeiten.
Für Entscheidungsträger vom Architekten bis zum Gebäudeeigentümer erschließen interoperable Datenstandards vollkommen neuartige Chancen. Neben messbaren Effizienz- und Produktivitätsgewinnen unterstützen sie die AEC-Branche insgesamt in dem Bestreben, gemeinsam auf die Gestaltung einer besseren Zukunft hinzuarbeiten.
Angesichts von Klimakrise, Urbanisierung und der Gefahr weiterer Pandemien steht unsere Branche aktuell vor gewaltigen Herausforderungen, die sich nur bewältigen lassen, wenn wir gemeinsam anpacken und die Utopie von der idealen Zusammenarbeit zwischen Architekten, Bauingenieuren, Fertigungswerkstätten, Bauunternehmen und Gebäudeeigentümern in die Alltagspraxis umsetzen.
Amy Bunszel ist Executive Vice President of Architecture, Engineering, and Construction Design Solutions bei Autodesk.
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