PERSPEKTIVEN

Ein Plädoyer für mehr Vernunft in der Klimadebatte

ANDREW ANAGNOST, AUTODESK CEO

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Im Kampf gegen die Klimakrise sind politische Maßnahmen, technische Innovationen sowie finanzielle Investitionen in saubere Energien erforderlich.

Die Klimakrise polarisiert. Dabei leisten weder die Weltuntergangspropheten noch die Prediger des „Klimalüge“-Evangeliums einen konstruktiven Beitrag zur Debatte. Pragmatische Stimmen, die Mittelwege zwischen Hysterie und Realitätsverweigerung aufzuzeigen versuchen, können sich in dieser Kakophonie der Meinungsextreme nur mit Mühe Gehör verschaffen. Ein Plädoyer.

Illustration eines Vogels, der mit Öl bedeckt ist und gewaschen wird.

Um diesen Planeten zu schützen, dürfen wir nicht untätig sein, sondern müssen Hand anlegen.

Extreme Reaktionen

Wer sich noch an die 1970er-Jahre erinnert, dem kommt das alles irgendwie bekannt vor: Damals löste die Diskussion um Umweltverschmutzung und Überbevölkerung ähnliche Wechselwirkungen zwischen Panikmache auf der einen und Verharmlosung auf der anderen Seite aus. Es gab durchaus Menschen, die den Standpunkt vertraten: alles halb so wild, machen wir ruhig weiter wie gehabt!

Am anderen Ende des Spektrums machte sich Weltuntergangsstimmung breit. Populäre Filme und Bücher entwarfen ein dystopisches Zukunftsszenario nach dem anderen: vom Waldsterben in „Lautlos im Weltraum“ (1972) über Hungersnot und Kannibalismus in „… Jahr 2022 … die überleben wollen“ (1973) bis hin zur Explosion der „Bevölkerungsbombe“ in Paul R. Ehrlichs gleichnamigem Sachbuch von 1968. Eine besonnene Bestandsaufnahme – geschweige denn die Verabschiedung effektiver umweltpolitischer Maßnahmen – wurde erst möglich, nachdem die anfängliche Panik abgeklungen war.

Erste Schritte nach vorn

Zu diesen Maßnahmen zählte neben der Erarbeitung umweltpolitischer Programme und Verabschiedung entsprechender Gesetze auf nationaler wie auch internationaler Ebene etwa die Einberufung der ersten internationalen Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm. Technische Innovationen (die Ausstattung von Neuwagen mit Katalysatoren oder die Einführung von Abgasentschwefelungsanlagen für Kohle- und Gaskraftwerke sowie die Revolution der Lebensmitteltechnologie zur Versorgung der Weltbevölkerung, die sich seit 1960 mehr als verdoppelt hat) schürten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Selbst im Autofahrerland USA investierte man in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr als umweltfreundliche Alternative.

Dass all dies zur Verhinderung der akuten Klimakrise nicht ausreichte, pfeifen heute die Spatzen – inzwischen selbst eine gefährdete Art – von den Dächern. Untätigkeit können wir uns nicht leisten.

Ebenso sinnlos ist jedoch der Versuch, die Mitmenschen mit Katastrophenmeldungen in panische „Öko-Angst“ zu versetzen und zu einem blinden Aktionismus aufzurufen, der bestenfalls ergebnislos bleibt und schlimmstenfalls unbeabsichtigte Folgen hat. Damit ein nachhaltiger Wandel und eine Annäherung zwischen den polarisierten Lagern denkbar wird, sind ehrgeizige politische Maßnahmen, anhaltende technische Innovation und massive Investitionen in die energetische Infrastruktur erforderlich – und zwar lieber gestern als heute.

Die Klimakrise – eine existentielle Bedrohung?

Klarheit ins Dickicht der einschlägigen Mythen und Meinungsmache bringt die Abhandlung eines Forschungsteams an der Yale University unter dem Titel „Modeling Uncertainty in Integrated Assessment of Climate Change“. Unter Berufung auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse und mathematische Gesetze lautet das Fazit der Forscher: „Sämtliche Klimamodelle sind durch ein hohes Maß an Ungewissheit gekennzeichnet. Um fundierte und rechtzeitige Entscheidungen im Kampf gegen den Klimawandel treffen zu können, ist es unbedingt erforderlich, dass wir diese Ungewissheit verstehen.“

Angaben über die Höhe des anthropogenen Temperaturanstiegs seit Beginn des Industriezeitalters (ab 1900) schwanken; nach aktuellem Forschungsstand ist jedoch von einer Erwärmung um insgesamt knapp drei Grad Celsius auszugehen. Das mag sich noch relativ glimpflich anhören, ist aber schlimm genug.

Eine globale Erwärmung in dieser Höhe wird drastische Folgen haben, die das Leben unzähliger Menschen dauerhaft zum Schlechten verändern: ansteigende Meeresspiegel, verheerende Wetterveränderungen (Wirbelstürme, Wald- und Flächenbrände, Hitzewellen), Umwandlung wasserarmer in wasserreiche Regionen und umgekehrt, Flüchtlingskrisen in vielen der ärmsten Länder der Welt … Sie wird jedoch weder die Zerstörung des Planeten noch die Vernichtung der Menschheit bewirken. Genauso wenig werden die beschriebenen Veränderungen über Nacht und ohne Vorwarnung eintreten. Panischer Alarmismus ist zu ihrer Bekämpfung genauso wirkungslos wie die Taktik der Verharmloser und Beschwichtiger.

Erforderlich sind ehrgeizige politische Maßnahmen, anhaltende technische Innovation und massive Investitionen in die energetische Infrastruktur.

Andrew Anagnost, Autodesk CEO

Was lässt sich durch politische Maßnahmen bewirken?

Autodesk hat den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen bereits 2017 scharf kritisiert und diese Kritik anlässlich der offiziellen Austrittserklärung im November 2019 erneuert. Im Namen unseres Unternehmens verurteilen wir ebenso die Lockerung der im Rahmen der CAFE-Gesetzgebung (Corporate Average Fuel Economy) geltenden Flottenverbrauchsgrenzen für Kfz-Hersteller.

Wir halten die Rücknahme von Umwelt- und Klimaschutzzielen für eine politische Fehlentscheidung, die schnellstmöglich rückgängig zu machen und durch ehrgeizige neue Strategien zu ersetzen ist. Regierungen weltweit müssen Branchen mit hohen CO2-Emissionen zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten. Es müssen negative Anreize für Umweltsünder und positive Anreize für Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsweisen und Technologien zum Nutzen der gesamten Gesellschaft geschaffen werden. Als wirksamste Maßnahme dazu bieten sich CO2-Preise an.

Bei sinnvoller Strukturierung führen CO2-Abgaben dazu, dass kohlenstoffintensive Produktionsformen für Unternehmen weniger rentabel werden. Die Auswirkungen auf Privatpersonen werden dabei abgedämpft; zugleich kommen die Einnahmen den Regionen und Bevölkerungsteilen zugute, die am stärksten von Umweltverschmutzung und steigenden Energiekosten betroffen sind. Einhergehen sollten diese Maßnahmen mit staatlichen Anreizen für innovative Lösungen zur Bewältigung der Klimakrise. Förderungswürdig sind insbesondere Technologien zur effektiven Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen: Solarstrom, Wind-, Wasser- und geothermische Energie, Meereswärmekraftwerke, Wasserstoffbrennstoffzellen, Biomasseverbrennung und – als Notlösung – eventuell auch Geo-Engineering.

Dass all dies einfacher gesagt als getan ist, versteht sich von selbst. Autodesk sieht sich hier in der Verpflichtung, anderen Unternehmen mit gutem Vorbild voranzugehen. Im Mittelpunkt dieser Verpflichtung steht der Einsatz für eine landesweite Einführung von CO2-Abgaben nach dem Muster der Regelungen, die in einigen Bundesstaaten im Nordosten der USA sowie in Kalifornien bereits in Kraft sind. Unser diesbezügliches Engagement ist Ausdruck der Überzeugung, dass Unternehmen über signifikante politische Macht verfügen und dass sie diese Macht zur Unterstützung politischer Reformen einsetzen müssen, die dem Ziel dienen, einen nachhaltigen Wandel zum Besseren herbeizuführen – auch und gerade dann, wenn die erforderlichen Maßnahmen auf kurze Sicht teuer und/oder unpopulär sind.

Illustration eines Lastwagens, der Abfälle in Baumaterialien umwandelt.

Neue Technologien können helfen, das Klima zu schützen.

Was lässt sich durch technische Innovation bewirken?

Impulse zur Innovation kommen oft aus unerwarteten Richtungen – aber Hauptsache, sie kommen. Zur Bekämpfung der Klimakrise sind wirksame Anreize und Initiativen zur Förderung innovativer Technologien erforderlich, die einen Beitrag zur Verlangsamung der Erderhitzung leisten.

Über ihre Förderprogramme investiert die Autodesk Foundation in Start-ups, gemeinnützige Unternehmen und andere Organisationen, die an der Entwicklung der nächsten Generation nachhaltiger Technologien arbeiten. Insbesondere in den Bereichen CO2-Sequestrierung, Baustoffe und nachhaltige Energieerzeugung (einschließlich Atomkraft zur Überbrückung der Lücke zwischen fossilen Brennstoffen und erneuerbaren Energien) wird aktuell kräftig innoviert.

Unser eigentlicher Investitionsschwerpunkt liegt jedoch auf der Entwicklung von Technologien zur Unterstützung von Innovation. Schon in den kommenden fünf Jahren werden KI und Cloud-Computing Planung, Bauwesen und Fertigung dramatisch verändern. Bereits heute können Architekten zur Veranschaulichung der Vorteile einer energieeffizienten und damit klimaschonenden Planung und Bauweise auf Gebäudedaten aus verschiedenen Quellen zugreifen.

Ein kürzlich vom Bauriesen Skanska in Zusammenarbeit mit Arup, dem Carbon Leadership Forum, Katerra, Microsoft und Autodesk entwickeltes Programm zur Berechnung der kumulierten Kohlenstoffemissionen für unterschiedliche Baustoffe trägt im Rahmen der im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaschutzziele zur Reduzierung der Emissionen um bis zu 30 Prozent bei.

Warum ist effektive Energiespeicherung so wichtig?

Ein Thema, das in der Klimadebatte oft vernachlässigt wird, ist der Mangel an effizienten Speicherlösungen und intelligenten Stromnetzen zur Lagerung und Verteilung von Energie aus erneuerbaren Quellen. Microsoft-Gründer Bill Gates plädiert daher für eine Umwidmung der staatlichen Subventionen für die Erzeugung von Wind- und Solarkraft. Ebenso könnten aber auch Erdöl- und Erdgaskonzerne einen Teil ihrer Milliardeninvestitionen entsprechend in den erneuerbaren Energiesektor umleiten.

In diesem Sinne ist es als eindeutig positives Zeichen zu bewerten, wenn der Branchenspezialist Wood Mackenzie Power & Renewables für den Zeitraum bis 2024 einen weltweiten Anstieg der Investitionen in Technologien zur Stromspeicherung auf umgerechnet 65 Milliarden Euro prognostiziert. Zur Verwirklichung der Vision einer komplett elektrifizierten Wirtschaft, die ihre Energieversorgung zu 100 Prozent aus nachhaltigen Quellen bezieht, besteht hier dringender Handlungsbedarf – und eine echte Chance, einen positiven Beitrag zur Gestaltung einer besseren Zukunft zu leisten.

Weltweit muss massiv in eine neue Infrastruktur zur Energieverteilung und intelligente Stromnetze investiert werden, damit die tagsüber erzeugten Überkapazitäten nicht verschwendet, sondern gespeichert werden und nachts zur Verfügung stehen.

Privathaushalte und Unternehmen können die Entwicklung dieser Infrastruktur durch Installation von Solaranlagen unterstützen. Die Anschaffungskosten werden zunehmend erschwinglich – erst recht, wenn neben der finanziellen auch die soziale Rendite einer Investition berücksichtigt wird, die über den unmittelbaren Beitrag zum Klimaschutz auch noch die zukünftige Weiterentwicklung der Technologie mitfinanziert.

Welche Rolle spielen Tech-Unternehmen?

Tech-Unternehmen haben gegenüber ihren Mitarbeitern und Kunden eine Verpflichtung zur Förderung produktiverer Investitionen in eine nachhaltige Zukunft. Deshalb sind wir bei Autodesk bestrebt, das diesbezügliche Engagement unserer Mitarbeiter und Kunden durch entsprechende Programme und Initiativen zu stärken.

Im Laufe der nächsten Jahre werden wir ein Prozent unserer Profite in die Erforschung neuer Möglichkeiten investieren, um unsere Auftraggeber durch Automatisierung und Bereitstellung technischer Daten bei der Verwirklichung ihrer eigenen Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen: von umweltfreundlicher Stromerzeugung über intelligente Speicherung/Verteilung bis hin zu Nullenergiegebäuden und darüber hinaus.

Zusätzlich planen wir, als Unternehmen ab Ende 2020 gemäß den Prinzipien der Weltbank-Initiative zur Bepreisung von CO2-Emissionen komplett kohlenstoffneutral zu wirtschaften. Das bedeutet, dass wir unsere eigenen Produkte zur Verbesserung unserer Klimabilanz verwenden, unsere physischen Standorte sowie unsere Speicherorte in der Cloud mit erneuerbarer Energie betreiben und uns in Zusammenarbeit mit unseren Kunden bei innovativen Projekten zur Kompensation von Treibhausgasemissionen engagieren werden.

Die Klimakrise lässt sich nur gemeinsam bewältigen – durch die Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Staaten und Unternehmen für eine lebenswerte Zukunft. Wenn alle an einem Strang ziehen, lässt sich sehr viel mehr erreichen als mit einem Tauziehen um die Meinungshoheit in der Klimadebatte.

Andrew Anagnost CEO von Autodesk.

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